Soziokratie Modul 1 – Ein Erfahrungsbericht
Ein Erfahrungsbericht von Till Riedmann, 25 Jahre alt, Soziokratie Zentrum Bodensee
Nach dem ich seit einiger Zeit im Soziokratie Zentrum Bodensee als Praktikant tätig bin, möchte ich die Gelegenheit hier nutzen, meine Erfahrungen aus meiner Teilnahme am Modul Eins der Gesprächsleiterausbildung zu teilen.
Dieser Teil meines Praktikums war für mich besonders interessant, da ich zu diesem Zeitpunkt, abgesehen von einigen soziokratisch geführten Meetings, keine große Erfahrung mit der soziokratischen Methode oder der dahinter liegenden Theorie hatte. Besonders diese Unbefangenheit möchte ich nun hier nutzen und meine persönlichen ersten Erfahrungen und Gedanken festhalten und mit Ihnen allen zu teilen.
Online statt Präsenz
Besagtes Modul 1 an dem ich teilgenommen hatte, fand vom 19. – 20. November 2021, aufgrund von Covid, online statt. Was mir gleich zu Beginn auffiel, war die sehr bunte Mischung an teilnehmenden Personen, mit verschiedensten Hintergründen, aus verschiedensten Branchen und mit unterschiedlichen Wissensständen über die Soziokratie. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung war es diese bunte Mischung, die immer wieder zu Interessanten Perspektiven führte.
Verschiedene Entscheidungsfindungsmethoden
Ein besonderer Aha-Moment ergab sich für mich besonders aus dem praktischen Vergleich verschiedener Entscheidungsfindungsmethoden. Dabei wurde anhand eines praktischen Beispiels sowohl eine autoritäre, eine mehrheitliche und eine soziokratische Entscheidung durchgespielt. Als für mich persönlich besonders intensiv, hatte ich die autokratische Entscheidungsmethode empfunden, auch weil mir die Rolle des „Autokraten“ zugeteilt wurde. Trotz Bemühungen meinerseits, durch Nachfragen und Meinungsrunden der anderen und ihre Meinungen in meine für alle gültigen Entscheidungen einfließen zu lassen, hatte ich nicht das Gefühl und schlussendlich auch die Rückmeldung, dass nicht alle mit meiner Entscheidung zufrieden waren, trotz meiner nicht unerheblichen Anstrengungen eine für alle akzeptable Lösung zu finden, die zu unserem gemeinsamen Ziel führt.
Entscheidung akzeptiert, aber keine Zufriedenheit
Die Methode des Mehrheitsentscheides löste zwar die starke Belastung meiner Person als Entscheidungsträger und allein Verantwortlicher, dennoch fiel mir besonders ein anderes Problem auf. Jetzt konnten zwar alle über das „Ja“ oder „Nein“ einer bestimmten Idee diskutieren oder abstimmen, allerdings beschränkte sich die Diskussion auch nur auf ein „Ja“ oder „Nein“ zu einer Idee. Dies lässt alle, die nicht der Mehrheit angehören, mit einer für sie nicht guten Lösung zurück, die sie dennoch mittragen sollen. Somit wurde die Entscheidung zwar akzeptiert, lies aber bei den Überstimmten dennoch einen unguten Beigeschmack zurück.
Vertretbare Entscheidung für alle
Bei der soziokratischen Methode fiel mir gleich zu Anfang der partizipative Charakter auf, der jeden und jede dazu animierte, am Entscheidungsprozess aktiv teilzunehmen. Jeder wurde dazu animiert, sich zu Wort zu melden. Dies wirkte vor allem dem im mehrheitsentscheidungscharakteristischen „Ja“- oder „Nein“- Charakter entgegen. So kamen Vorschläge und Ideen zum Vorschein, die bei den beiden vorherigen Methoden übersehen wurden. Darüber hinaus wurden auch wirklich alle Bedenken und Kritikpunkte, die jede einzelne Person vorgetragen hatte, mit in den Entscheidungsprozess eingebunden. Was nicht nur zur Weiterentwicklung eines Lösungsvorschlages beitrug, sondern auch ein allgemeines Gefühl der Anerkennung jeder subjektiven Sichtweise zur Folge hatte. Schlussendlich führte dies zu einem Lösungsansatzes, der für alle eine vertretbare Entscheidung darstellte. Was sich in diesem Erfahrungsbericht langwierig und anstrengend anhört, erforderte in diesem Fall allerdings nicht mehr Zeit als die zuvor besprochenen Mehrheitsentscheidungen oder eine bemühte „autokratische“ Entscheidung. Besonders beeindruckend habe ich in Erinnerung behalten, wie sich eine allgemeine Zufriedenheit mit einer so zustande gekommenen Lösung ausbreitet, die bei den beiden vorherigen Methoden nicht auf eine solche Weise zu spüren gewesen war.
Genau dieses Gefühl war für mich die herausstechende frühe Erfahrung mit der soziokratischen Methode, die für mich wirklich Lust auf weitere Erfahrungen und ein weiteres Auseinandersetzen mit der soziokratischen Methode hinterlassen hat.
Till Riedmann, 25 Jahre alt, Student an der Zeppelin Universität Friedrichshafen im letzten Studienabschnitt des Bachelorstudiums Sociology, Politics & Economics. Besonders fasziniert von Interdisziplinären Arbeitsweisen und den wichtigen Fragen unserer Gesellschaft.“