Doris Wilhelmer
Meine drei Leitmotive waren immer schon „Neues in die Welt bringen“, „ein wertschätzendes Biotop für gemeinsame Entwicklung und Wachstum aufbauen“ und „Freude am lebenslangen Lernen leben“. Diese Motive haben mich durch die unterschiedlichen Ausbildungen in „Gruppendynamik“, „systemischer Organisationsberatung“, „systemischer Familien- und Hypnotherapie“, „systemischer Strukturaufstellungen“ begleitet und mich im Rahmen meiner Forschungsprojekte schlussendlich auch mit Soziokratie als „Format für agile Organisationen“ und als „Konsent-Entscheidungsmoderation“ in Kontakt gebracht.
Wie bzw. warum bin ich zur Soziokratie gekommen?
Forschen geht nicht ohne persönliches Lernen: Meine Rolle als Innovationsforscherin brachte mich erstmals mit der Co-Housing Idee im allgemeinen und der Wiener Wohnprojektszene im Besonderen in Kontakt. In Wien arbeiten grundsätzlich alle Baugruppen soziokratisch. Als Mitbegründerin der Baugruppe MONA21 bewegte mich unmittelbar die Frage, wie sich 90 hoch diverse Personen selbst so organisieren können, dass dabei gemeinsame Entscheidungen und gemeinsames Steuern externer Beziehungen möglich wird. Die Soziokratie schien Antworten auf diese Frage zu geben. Damit war mein Wunsch, Soziokratie so gut begreifen und handhaben zu können, um damit zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Organisationen aufbauen und in einem effektiven Betrieb halten zu können, geweckt.
Faszinierend für mich war dabei die Aussicht, als CSE Beraterin zur „Geburt“ maßgeschneiderter, agiler Organisationen beitragen zu können, die im täglichen Tun eine gute Balance zwischen „effektiven, pragmatischen Entscheidungsprozessen“ und einer „potentialorientierten Kultur persönlicher Wertschätzung“ für sich realisieren können.
Gesagt, getan: Um erste Schritte in das Land der Soziokratie gehen zu können, entwickelte ich im Rahmen meiner Forschungstätigkeit am AIT (Austrian Institute of Technology) das SCHALTWERK-Forschungsprojekt, das die Implementierung von Soziokratie als Steuerungsinstrument für das Gesamtprojekt (16 Konsortialpartner aus ganz Österreich) sowie einzelner lokaler start-ups in Oberösterreich vorsah. Aus heutiger Perspektive weiß ich, dass ohne die konsequente Umsetzung einer soziokratischen Forschungsprojekt-Organisation die ungewöhnlich starke Mobilisierung der Projektpartner aus der Gemeinde, der Leaderregion sowie aus Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nicht möglich gewesen wäre. Erst das Zusammenführen der hoch diversen Organisationen unter dem soziokratischen „Projekt-Dach“ zu gemeinsamen Entscheidungsprozessen auf Augenhöhe ermöglichte ein Zusammenstehen aller Projektpartner während des Höhepunktes der COVID Pandemie und das erfolgreiche Lösen der damit einhergehenden, unerwarteten Krisensituationen. Beeindruckend war für mich u.a. die hohe Integrationskraft der soziokratischen Projektorganisation zur Bündelung aller verfügbaren Potentiale: Transparenz und gemeinsames Entscheiden auf Augenhöhe zwischen formalen Projekt-/Forschungspartnern und lokalen, ehrenamtlich tätigen Entscheidungsträger:innen und Aktivist:innen ermöglichten erst die Realisierung des größtmöglichen Nutzens der Forschungsergebnisse für die Region.
Die Begleitung der Weiterentwicklung eines eher losen Netzwerkes von Künstler:innen hin zu einer entscheidungsorientierten Performance-Laboratorium-Organisation stellte mein zweites Projekt dar. Die Herausforderung dabei war, eine „passende“ strukturelle Antwort zu finden, die sowohl das Leben „wilder Kreativität im Sinne professionellen Aufbrechens von Ordnungen“ als auch das Schaffen einer „strukturellen Stabilität als Boden für tragfähige Entscheidungen und Vertrauen“ ermöglichte. Genaues Zuhören und maßschneidern der Formate und Instrumente wurden hier der Schlüssel zum Erfolg. Das „Performance-Lab“ erlebt sich heute trotz eines gleichbleibend schwierigen Kontextes von Ehrenamt, Prekariat und professionalisiertem Einzelgängertum erstmals als kompakte, handlungsfähige und erfolgreiche Gruppe, die sich Schritt für Schritt in experimentell-kritischer Auseinandersetzung ihren eigenen Weg im Umgang mit Soziokratie als Organisationsform erarbeitet hat und weiterhin erarbeiten wird. Aus heutiger Sicht bestand die Stärke der Soziokratie in ihrer Kombinierbarkeit mit systemischen Perspektiven und Methoden: systemische Lernprozesse konnten als Zugang für das „An- und Begreifen“ der Vorteile und Grenzen von Rollen und Formaten genutzt werden. Die Erkenntnis (Reflexion) hier war, dass erst Ordnungselemente tragfähiges Vertrauen zwischen Personen ermöglicht und damit einen sicheren Raum für Kreativität schafft. Entsprechend genau wurde im Implementierungsprozess untersucht, welche Ordnungselemente die Gruppe beim Andocken an die Universität und beim künstlerischen Arbeiten bestmöglich unterstützt.
Mein Ziel ist es, auch bei künftigen Implementierungen von Soziokratie in Unternehmen, Expertenorganisationen aus Forschung, Bildung und Kunst, Kommunen und Regionen Methoden aus der systemischen Beratung, Strukturaufstellung und Soziokratie so zu kombinieren, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger:innen eine für sie optimale Umsetzung der soziokratischen Organisations- und Moderationsformate in ihren Kontext spielerisch erproben und gemeinsam finden können. Ein persönliches Forschungsfeld dabei ist auch die Adaptierbarkeit der Struktur auf Quartiers- und Stadtentwicklungsprozesse österreichischer Kommunen.