Geschichte

Vor Endenburg

Das Wort Soziokratie wurde von Auguste Comte, dem französischen Philosophen, der auch als Begründer der Soziologie als Wissenschaft gilt, am Beginn des 19. Jahrhunderts geprägt. Comte ging es darum, die Regeln eines sozialen Miteinanders aller Mitglieder einer Gruppe nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu beschreiben. In den 1920er Jahren proklamierte der holländische Friedensaktivist, Kees Boeke, das Wort Soziokratie und fing 1926 an, die gemeinsame Beschlussfassung nach soziokratischen Prinzipien, in der von ihm gegründeten Schule, anzuwenden.

1950 – 1979

Gerard Endenburg besuchte die Boeke Schule von 1938-1946 und arbeitete dann als anwendender Kybernetiker in der Gestaltung von Elektronik-Anlagen (einige der Schaltungen werden noch heute noch in Kopfhörern verwendet). In den frühen 1970er Jahren übernahm er die Produktionsfirma seiner Familie, Endenburg Electrotechniek. Nachdem er die Probleme der traditionellen Managementansätze erlebt hatte, begann Gerard, um konstruktiv mit seinem Team zu arbeiten, einen neuen Ansatz zu entwickeln – die Kombination der Boeke-Version von Soziokratie mit seiner Ausbildung in der Kybernetik. Das Ergebnis war ein neues System für Management und Führung.

1980 – 1999

Gerard Endenburg gründete das Sociocratisch Centrum in Rotterdam, ein niederländisches Beratungsunternehmen, mit dem Ziel, die Soziokratie zu verbreiten, das Kern-System weiter zu entwickeln und Best-Practice-Forschung zu betreiben. Annewiek Reijmer kam dazu um das Zentrum zu verstärken. In den 1980er und 1990er Jahren haben hunderte Organisationen in den Niederlanden und in der ganzen Welt die Soziokratie eingeführt. Gegen Ende der 1990er Jahre wurden die ersten nicht-niederländischen Soziokratie-Berater:innen zertifiziert.

2000 – 2010

Ab 2000 haben führende kanadische und US-amerikanische Berater neue Soziokratie Zentren ins Leben gerufen und ihre persönlichen Beratungsfirmen in einer globalen Soziokratie-Gruppe miteinander verbunden. Bücher über Soziokratie wurden in Holländisch, Englisch und Französisch veröffentlicht. Eine globale Bewegung der Soziokratie Nutzer:innen entstand, selbstorganisierte Netzwerke starteten in Großbritannien und Frankreich. Ehemalige Kund:innen der Soziokratie-Gruppe gegründeten spinn-off Versionen von Soziokratie, wie zB. Holacracy.

Heute

Seit 2010 hat sich die Soziokratie unter einer Vielzahl von Markennamen immer schneller verbreitet, z.B. als  “Dynamic Governance”, “Circle Forward” oder “SKM – Soziokratische Kreisorganisations Methode”. Soziokratie ist zum Standard für Entscheidungsstrukturen in Cohousing-Projekten in USA, Kanada und Frankreich geworden, seit 2011 zunehmend auch in Österreich. Moderator:innen und Berater:innen haben auf der Suche nach effektiven Entscheidungsmethoden, die kompatibel mit ihren Disziplinen sind, begonnen, die Soziokratie als Modell ihrer Wahl zu promoten.

Im mitteleuropäischen Raum hält die Soziokratie Einzug in Schulen, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, bei großen NGOs wie Südwind und Armutskonferenz, im Nachhaltigkeitsbereich und mittlerweile auch in Profit-Unternehmen. Neue Soziokratie Zentren entstehen in Deutschland, der Schweiz, Spanien, Litauen und Schweden. Durch die zunehmende Anwendung der Soziokratie in EU-Projekten wird das Wissen über partizipatives Management in alle EU-Länder getragen und hat darüber hinaus auch schon Ägypten, Brasilien und Australien erreicht.

Die Geschichte der Soziokratie

Auszug – mit Genehmigung des Autors – aus dem 150-seitigen Soziokratie Skript 2.7
MBA Diplomarbeit von Christian Rüther

Kees Boeke und die Quäker

Theoretischer und persönlicher Vorläufer der Soziokratie nach Endenburg war Kees Boeke, ein niederländischer Sozialreformer, der 1948 eine Schrift veröffentlichte mit dem Namen: „Soziokratie – Demokratie, wie sie sein könnte.“ Darin beschrieb er, wie unvollkommen Entscheidungen nach dem Mehrheitsvotum und welche Alternativen möglich sind. Kees Boeke war Quäker und kannte somit konsensorientierte Entscheidungsformen für eine Gruppe, die wirken und funktionieren.
Schon 1926 gründete Boeke eine Schule, die „Werkplaats Kindergemeenschap“, in der er eine soziokratische Umgebung schuf und so die Basiswerte vermittelte, die seiner Meinung nach für eine friedliche Gesellschaft wichtig sind. Gerard Endenburg sowie drei Kinder der Königin Juliana (regierte von 1948-1980) sind dort zur Schule gegangen.

Gerard Endenburg

Gerard Endenburg ist der eigentliche Begründer der Soziokratie in der heutigen Form.
Seine Eltern waren Idealisten, sahen aber auch die positiven Seiten am Kapitalismus. Sie wollten sehen, inwieweit sie im eigenen Betrieb ihren Idealismus leben konnten, und gründeten 1950 Endenburg Elektrotechniek (EE). Gerard studierte Elektrotechnik und arbeitete danach ein paar Jahre für Philips. Sein Vater übergab ihm zuerst eine kleine Firma, damit Gerard seine Managementkenntnisse erweitern konnte. Sie verschmolz nachher mit EE, die Gerard Endenburg ab 1968 – zuerst zusammen mit seinem Vater und nach dessen Tod allein – als CEO (Geschäftsführer) führte. Er versuchte dort die Prinzipien von Boeke mit denen der Kybernetik zu verbinden. So formte sich im Laufe der Zeit die Soziokratie nach Endenburg.
Gerard Endenburg arbeitet bis heute im Soziokratischen Zentrum der Niederlande, entwickelt seinen Ansatz weiter, gibt Vorlesungen an der Universität Maastricht und berät Unternehmen, welche die Soziokratie implementieren möchten.

Ende Auszug Soziokratie Skript 2.2 von Christian Rüther

Das Sociocratisch Centrum Nederland

Annewiek Reijmer leitet seit 1995 das Holländische Zentrum und war maßgeblich an der weltweiten Verbreitung der Soziokratie beteiligt. Unter ihrer Leitung wurde der Global Sociocratic Circle gegründet, der 2013 in eine Stiftung mit dem Namen TSG – The Sociocracy Group mündete.

Weltweite Verbreitung

Von den Niederlanden ausgehend verbreitete sich die Soziokratie ab 1995 zuerst in den USA und Kanada, ab 2000 auch in Frankreich, Belgien und Deutschland.

Zur Zeit gibt es weltweit über 30 zertifizierte CSE Soziokratie-Expert:innen, welche für die Verbreitung und Qualitätssicherung der Soziokratie sorgen.

Das Soziokratie Zentrum

2009 hat Barbara Strauch, Mitbegründerin des Soziokratie Zentrum Österreich – SoZeÖ, die Soziokratie bei „Keimblatt Ökodorf“ durch Christian Rüther kennen und schätzen gelernt. Als Gemeinschaftsberaterin hat sie die SKM sehr schnell auch in den von ihr beratenen Projekten eingesetzt. Anfang 2012 startete sie ihre Ausbildung zur -Soziokratie-Expertin im deutschsprachigen Anwärter:innen-Kreis, unter der Leitung von Pieter van der Meché. Von da an dauerte es nur noch ein halbes Jahr, bis sich ihr weitere Soziokratie-begeisterte Menschen anschlossen. Einer davon war Florian Bauernfeind der Soziokratie bereits als Teil einer Organisation erfahren hat und die zündende Vision hatte, ein Kompetenzzentrum für Soziokratie in Österreich ins Leben zu rufen um Soziokratie noch mehreren Menschen zugänglich zu machen.

Ende Nov. 2012 fuhren die zukünftigen Gründer:innen, Barbara Strauch, Florian Bauernfeind (damals Obmann von United Creations), Katharina Lechthaler (Bewohnerin im WP-Pomali) und Georg Ortner (der von der SKM in Auroville erfahren hatte) gemeinsam nach Bielefeld zum Vertiefungsseminar mit Pieter van der Meché und Isabell Dierkes. Dort „träumten“ sie gemeinsam mit den beiden Trainern in einem Dragon-Dreaming-Traumkreis, die Gründung des Soziokratie Zentrums.

Nach nur einem Jahr gemeinsamer Arbeit konnte am 9. November 2013 mit einem Festakt im Vienna-Hub das Soziokratie Zentrum Österreich eröffnet werden. Gerard Endenburg, der Entwickler der SKM, überreichte zusammen mit Annewiek Reijmer, der Leiterin von TSG-The Sociogracy Group, an diesem Tag Barbara Strauch, als der ersten Österreicherin, ihr Zertifikat als Soziokratie-Expertin.

In unserer CSE-Ausbildung für angehende Soziokratie-Expert:innen streben aktuell (November 2023) wieder 12 Lernende die Zertifizierung als CSE – Certified Sociocracy Expert an. Die bislang 23 ausgebildeten CSE-Berater:innen sind für die Begleitung zur Implementierung der SKM in Unternehmen und Organisationen aller Art, im deutschsprachigen Raum unterwegs.

Das “Soziokratie Zentrum” steht nun als Dachmarke in Österreich, Deutschland und der Schweiz für ein hochwertiges Angebot an Aus-/Weiterbildungen mit gemeinsamer Qualitätssicherung.